BAD DÜRRENBERG/MZ. Eben noch Sonnenschein. Nun türmen sich Wolkenberge über dem Badesee in Kreypa (Saalekreis). Es ist kurz nach 17 Uhr und schon dunkel. Sturm kommt auf. Erst brechen nur Äste. Aber was knirscht da? Ein ganzer Baum kippt, von einer Windhose aus dem Erdreich gerissen, auf ein Auto. Der Himmel öffnet seine Schleusen, dazu Donner wie Kanonenschläge.
Acht Jahre ist das Tornado-Erlebnis her. Doch Nico Müller erinnert sich daran, als wäre es gestern passiert. Das liegt nicht nur daran, dass der inzwischen 30-Jährige im Unwetter seine heutige Frau kennenlernt - schutzsuchend unter einem massiven Picknick-Tisch. Petrus spielt Schicksal auch noch in anderer Weise. Der gelernte Elektromechaniker erlebt die Urgewalten des Wetters damals so, dass ihn dieses Thema nicht wieder los lässt. Zunächst "verschlingt" er geradezu alle erreichbaren Bücher über einen möglichen Klimawandel. Nach Internet-Kontakten ist für den Handwerker die Entscheidung bald klar: "Ehrenamtlicher Unwetter-Beobachter, das ist meine Zukunft."
Als Augenzeuge dabei
Mittlerweile betreibt der Mann auf seinem Balkon eine komplette Wetterstation. Doch genügt es ihm nicht, nur Messwerte zu registrieren. "Die Extreme ziehen mich magisch an." Folgerichtig gehört Müller nun seit drei Jahren zu den Sturmjägern in Sachsen-Anhalt - unentbehrliche Partner für regionale Unwetterwarnungen, bestätigen Meteorologen verschiedener europäischer Wetterdienste. Den Grund sieht Müller darin: Auch noch so akribische Berechnungen können Augenzeugenberichte und Live-Aufnahmen letztlich nicht ersetzen. Auch Versicherungen wissen das längst zu schätzen, wenn es um eine qualifizierte Schadenanalyse geht - und das nicht nur bei Jahrhundert-Ereignissen wie dem Wintersturm "Kyrill" oder dem Hagelschlag im vorigen Jahr. Und natürlich ist es auch kein Wunder, dass selbst manches von Sturmjägern aufgenommene Foto es bis in Wetter-Berichte großer Fernsehstationen schafft und so mitunter Millionen Zuschauer erreicht.
Wer mit Sturmjägern spricht, merkt rasch: Es sind vor allem Enthusiasten. Via Internet rund um die Uhr miteinander im Kontakt, stellen sich einen hohen Anspruch: Uns entgeht nichts am Himmel und auf Erden. Das ist so etwas wie ein geflügeltes Wort in dieser verschworenen Gemeinschaft, fast ausnahmslos Männer. Landesweit, so Sven Lüke vom Verein Skywarn, gibt es etwa zwei Dutzend aktive Mitstreiter. Ihre gemeinsame Lieblingslektüre: eine Vielzahl von stetig aktualisierten Wetterkarten. Leute wie Müller finden das "viel spannender" als beispielsweise in einem Krimi zu schmökern. Und zeichnet sich dann eine ungewöhnliche Lage ab, schwärmen die Sturmjäger kurz darauf aus - jeder in sein Revier. Erstaunlich, Müller besitzt nicht einmal ein eigenes Auto. Eine gute Foto-Ausrüstung ist ihm wichtiger. Irgendwie schafft es der Wetterbeobachter aber rechtzeitig vor Ort zu sein, wenn es im Umkreis von 50 oder 75 Kilometern schüttet, kracht und blitzt. Fahrdienste von Gleichgesinnten und Freunden, sagt er, machen es möglich.
Der Bullenstädter Brocken, eine Erhebung im flachen Umland von Bernburg (Salzlandkreis), ist der Stammposten von Torsten Stein. Der 36-Jährige braucht von seiner Wohnung nur wenige Minuten, um bei guter Sicht von dort aus den Harz und den Kyffhäuser im Blick zu haben. Sein Vorteil: Stein ist ein Schwergewicht, den so schnell kein Sturm umwirft. "Respekt habe ich aber vor Blitzen - da bleibe ich nicht stehen, wenn 100 000 Volt aus den Wolken brechen."
Unterwegs mit Schlafsack
Das Fahrzeug, mit dem Stein den Unwettern nachjagt, entpuppt sich als Überlebensinsel. Neben einer Funkstation und zusätzlichen Batterien findet sich auch der wetterfeste Schlafsack im Kofferraum. Wenn es spannend werde, bleibe er auch über Nacht einmal draußen. Rund 1 500 Kilometer ist der gelernte Fleischer in dieser Saison schon auf Achse gewesen, zwischen Leipzig und der Altmark. Seine Ausbeute ist auf dem Laptop gespeichert: Mehr als 5 000 eindrucksvolle Wetterbilder. Da peitscht der Sturm die Wolkenstapel über abgeerntete Felder hinweg. Dort scheint die Sonne zwischen zwei Gipfeln, über denen eine Sintflut niedergeht. Und hier ist eine Niederschlagsfront, die sich gerade auflöst - quasi ins Nichts.
In den kommenden Monaten ist Stein auf die alljährlichen Winterstürme gespannt. "So etwas entwickelt sich manchmal innerhalb von sechs bis acht Stunden, sogar mit Gewittern." Allerdings steckt der für ihn schönste Schnappschuss des Jahres schon im Foto-Speicher: ein Bernburger Riesenblitz, spontan aufgenommen von seiner Frau am Küchenfenster.
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